Zum 100. Geburtstag: Der Schweizer Allroundkünstler Max Bill im Marta Herford
Der Feind heißt Verwirrung
05.02.2008
Süddeutsche Zeitung (2008)
Max Bill: rythme de couleurs du pays de brancusi, 1976/77 - Foto: Nachlass Max Bill an Angela Thomas (c) Angela Thomas Schmid/VG Bild-Kunst, Bonn 2008

Max Bill: rythme de couleurs du pays de brancusi, 1976/77 - Foto: Nachlass Max Bill an Angela Thomas (c) Angela Thomas Schmid/VG Bild-Kunst, Bonn 2008

Als Max Bill 1994 im Berliner Flughafen Tegel unerwartet starb, trat eine Linie seines Lebens deutlicher in Erscheinung. Eine Trennlinie, die sein Leben zwei Frauen zuordnete. Zum einen seiner Frau Binia, mit der er seit 1931 bis zu ihrem Tod 1988 verbunden war, zum anderen Angela Thomas, die er 1991 heiratete. Bill lernte sie bereits 1974 als Kunststudentin in Zürich kennen und zunehmend als Lebens- und Denkpartnerin schätzen. Sie erforschte zunächst das Werk seines besten Freundes Georges Vantongerloo (1933–65), dessen Nachlass Bill pflegte. Später begleitete sie Bill auf seinen Reisen und gemeinsam begannen sie, im Vorbereitung von anstehenden Ausstellungen und Buchprojekten, auch sein Gesamt- und Netzwerk systematisch zu ordnen und die Erinnerungen zu verdichten – eine Biografie soll noch dieses Jahr erscheinen.

 

Werk nur in Ausschnitten bekannt

Wenn nun aus Anlass seines 100. Geburtstages, der eigentlich erst am 22. Dezember stattfindet, in diesem Jahr vielfältige Ausstellungsprojekte anstehen, ob in seiner Geburtstadt Winterthur, in Essen, Würzburg oder Duisburg, so werden die Kuratoren die Ordnung des Nachlasses, der zur Hälfte bei der von Angela Thomas geführten „max bill georges vantongerloo stiftung“ liegt, zu schätzen wissen.

So geriet auch Jan Hoet, der nunmehr scheidende Leiter des „MARTa“-Museums in Herford, ins Staunen, als er – eher zufällig – einen Kollegen nach Zumikon ins Haus Bill begleitete. Ihm offenbarten sich nicht nur Bilder eines Werkes, das in Ausschnitten ja der Kunstgeschichte bekannt war, sondern auch ein nun durch Angela Thomas aufrufbarer Kosmos mit all seinen neuen Sichtachsen und Querverweisen – und einer Fülle von noch nie gezeigten Bildern.

Über 200 dieser sowie weiterer Schlüsselbilder der Moderne sind nun seit dem vergangenen Wochenende erstmals in einer großen Retrospektive zu Bill im ostwestfälischen Herford zu sehen. Sie präsentieren sich dem Besucher nicht chronologisch, sondern thematisch in sechs Räumen und zeigen Max Bill als Brückenfigur, der die Disziplinen Kunst, Design und Architektur sowie mehr als drei Künstlergenerationen verband. Seine ersten Studien unternahm Bill noch, nach einer Silberschmiedelehre, an der Kunstgewerbeschule in Zürich, entschied sich aber wenig später – nach einem Vortrag von Le Corbusier – Architekt zu werden und wechselte 1927 für wenige Jahre zum Bauhaus nach Dessau. Dort prägten ihn insbesondere Kandinsky, Klee und Albers, deren Grundfragen der Gestaltung auch ihn durchdrangen und die er 1930 in eigenen theoretischen Schriften zum programmatischen Gedanken einer „konkreten gestaltung“ manifestierte.

 

Gegenstände für den geistigen Gebrauch

Seine Kunstwerke verstand er als „Gegenstände für den geistigen Gebrauch“. Nicht gegenständlich oder abstrakt sollten sie sein, sondern konkret, also eigenen Gesetzen unmittelbar unterliegen. Bill versuchte durch seine Kunst, „eine gegenwelt aufzustellen gegen (…) die konfusion, in der wir heute (…) leben“. In Herford wird auf die verschiedenen Genres, in denen das zoon politikon Bill tätig war, vielfach nur verwiesen, in dem einzelne Architekturpläne, Möbel oder Schriften in Vitrinen beigefügt sind.

Zusammen mit Angela Thomas rückte die Kuratorin Friederike Fast zu Recht nach der großen Stuttgarter Ausstellung 2005 nun die Malerei in den Mittelpunkt, denn hier fühlte sich Bill unbeschwert, hier erlangte seine Gegenwelt den größten Umfang und die größte Tiefe. Befreit von allen Rahmungen der Gesellschaft, konnte Bill hier mit jedem Blatt wieder eine neue Welt aufspannen.

Und so wie er sie vorführt, scheint sie mit jeder Linie unendlicher zu werden. Mit nur wenigen Elementen begrenzt und weitet er, schafft Zentren, setzt Akzente, trennt und verbindet, erzeugt durch Punkte, Linien und Flächen Rhythmus und balanciert schwere wie leichte Farben. In den einzelnen Räumen wird den Maximen von Bill nachgegangen, der Kunst als Ausdruck von Freiheit verstand, Gefühl und Denken einforderte, ähnlich wie Bach mit Tönen Variationen von Farben und Räumen schuf, und für den Kunst und Design von gleichrangiger Bedeutung waren.

 

Bill im Gehry-Gebäude: Ineinander fließende Räume

Seine Gedanken und Linien durchziehen nicht nur die Bilder, sondern, so scheint es, auch die von Gehry gestalteten ineinander fließenden Räume. Und obwohl so mancher gerade Keilrahmen vor gewölbter Innenwand zum Dahintergucken einlädt, kann der Besucher erleben, wie das Gebäude des Architekten Frank O. Gehry und das Bill-Werk zu einem Raumkontinuum verschmelzen, das es so bislang noch nicht gab.

Die Blicke der Besucher wandern unweigerlich von den großzügig gehängten Rahmen hoch zu den augenförmigen Dachfenstern, wieder hinab zu einzelnen frei stehenden Skulpturen aus Holz und Metall, hindurch durch große, offene Durchgänge, wo weitere Farbwelten verführen. Einzelne überraschende Bilder von Bill könnten sogar als Grundrisse von Gehry gelten, dessen Projekte zumeist ebenso intuitiv entstehen und nur in seltenen Fällen Metaphern (etwa Fisch oder Segel) beanspruchen. Sie entstehen aus der Kombination aus Flächen und Volumen und gehen insofern noch einen Schritt weiter, weil die erdachte Konstruktion zu neuer Wirklichkeit führt und so wieder ins Leben eingreifen kann, aus dem Inspiration letztlich entsteht.

Wie der Gehry-Bau die Welt des Max Bill nun unter ihre Flügel nimmt, mit ihr tanzt und sich vergnügt, lässt ein Denkparadies entstehen, das in der Zusammenschau verschiedener Kunst-Disziplinen seinesgleichen sucht. Frank sollte aus Los Angeles unbedingt mal zu Besuch vorbeikommen.

 

„Max Bill – Ohne Anfang, ohne Ende“, MARTa Herford, bis zum 30. März. Begleitet von einer kleinen Gruppenschau, „Variationen über Max Bill – Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ (bis 9. März). Zwei Ausstellungskataloge (34 und 9 Euro). Info: www.martaherford.de Parallel zeigen Gewerbemuseum und Kunstmuseum Winterthur „Max Bill, Zum 100. Geburstag“, bis 12. Mai. Info: www.gewerbemuseum.ch; www.kmw.ch

 

Stefan Rethfeld

Zum Artikel: www.sueddeutsche.de