WestLB-Architektur: Wunsch nach Größe
Wie die WestLB-Bauten eine Firmengeschichte erzählen
21./22.1.2012
Süddeutsche Zeitung (2012)
Harald Deilmann: WestLB Münster, 1967-1975 - Foto: Baukunstarchiv NRW, Nachlass Harald Deilmann

Harald Deilmann: WestLB Münster, 1967-1975 - Foto: Baukunstarchiv NRW, Nachlass Harald Deilmann

Mit der Abwicklung der Westdeutschen Landesbank zum 30. Juni wird in diesem Jahr eine bemerkenswerte Unternehmensgeschichte enden. Doch so schwach das Ende, so stark war ihr Anfang. Für Aufbruchsstimmung sorgte 1969 ein hoher kultureller Anspruch, der sich vor allem in der Art ihrer Architektur manifestierte. Unverwechselbar sollte sie sein, neuartig als Form, als Struktur, in Material und Konstruktion. Und tatsächlich: Wer heute auch nur ein Detail dieser gestreiften Beton-Glas-Gebirge sieht, wird sie sofort zuordnen der WestLB zuordnen können.

Bauten, die nicht nur die Modernität einer Bank veranschaulichen sollten, sondern auch in der Architekturgeschichte Signalcharakter beanspruchten: als urbane Gegenthese zum sterilen, seinerzeit um sich greifenden Funktionalismus. Hervorgegangen sind sie aus einer engen Baupartnerschaft des ersten Vorstandsvorsitzenden Ludwig Poullain und des Architekten Harald Deilmann. Der erste Bau entstand von 1969 bis 1975 in Münster, weitere folgten in kurzer Zeit in Dortmund, Luxemburg und Düsseldorf.

 

Neuer Geist einer modernen Großbank

Bereits für erste Standortstudien hatten sich Poullain und Deilmann in Münster 1965 kennengelernt. Der Bankier kam aus dem Ruhrgebiet nach Münster, wo Deilmann zusammen mit Kollegen gerade mit dem neuen Stadttheater reüssierte. Auch Poullain dachte an den Aufbruch. Wer dem heute 93-Jährigen gegenübersitzt, kann noch immer das frisch-freche Denken spüren, mit dem er vor mehr als vierzig Jahren das deutsche Bankwesen revolutionierte. Bis heute erzählt er gerne die Anekdote, dass die Vorstandskollegen in der Westfälischen Landesbank stets die Decken zum Mittagsschlaf in eigenen Ruhezimmern gereicht bekamen, was ihm damals als 47-jährigen Generaldirektor grauste. Sein Plan war ein anderer. Ein neuer Spirit sollte entstehen, die Idee einer Großbank war geboren.

Durch Zusammenlegung der Westfälischen Landesbank mit ihrem Pendant im Rheinland zur Westdeutschen Landesbank Girozentrale, kurz: WestLB, wollte Poullain eine der größten Banken der Republik gründen, um so zu den Privatbanken aufzuschließen, mit Beteiligungen und Großkrediten auch auf dem internationalen Parkett. Die Fusion war noch nicht ganz gesichert, da organisierte er bereits die räumliche Expansion, zunächst für Münster, neben Düsseldorf nun Hauptsitz der neuen Bank. In einem beschränkten Wettbewerb 1967 gelang es hier Deilmann, sich gegen drei weitere Entwürfe durchzusetzen.

 

Formbegriff neu definieren

Für Deilmann kam der Auftrag zu einem günstigen Zeitpunkt. Denn nun konnte er die Raumstudien anwenden, die ihn am eigenen Gebäudekunde-Lehrstuhl in Stuttgart und im Münsteraner Büro fesselten. Galt es doch für ihn, inspiriert durch den finnischen Altmeister Alvar Aalto und Paul Rudolph als Newcomer in den USA, den Formbegriff grundlegend neu zu definieren und Gebäude durch ihr Wesen, ihren Typ und ihre Gestalt zu bestimmen. Systematisch hatte er Grundrisse für sämtliche Bauaufgaben erforscht. Er war so imstande, Gebäude nicht nur als immergleiche Stapelware, sondern dreidimensional durchzudeklinieren, als frei fließenden Raum. Doch dies war nur der eine Teil des Entwurfsprozesses, das Objektivierbare, für Deilmann Handwerkszeug. Als deutlich herausfordernder verstand er das Schöpferische: jenen Entwurfsanteil, der die Einmaligkeit des Ortes betont, auf das Situationsbedingte eingeht, besonders auf die Persönlichkeit des Bauherrn und die konstruktiven und technischen Möglichkeiten einer Zeit.

 

WestLB als prominenter Testfall

Der WestLB-Bau in Münster wurde so zum prominenten Testfall. Von Beginn an galt die Maxime der Unverwechselbarkeit: Schon die Standortwahl galt als Novum. Beanspruchten bislang Bankhäuser namhafte Innenstadtadressen, wählte die Bank das Gelände des Alten Zoos vor der Münsteraner Altstadt. Zwischen altem Stadtwall und neuem Stausee modellierte hier nun Deilmann geschickt das riesige Raumvolumen zu einer terrassierten Bürolandschaft und erzeugte in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekten Günther Grzimek fließende Übergänge zwischen Architektur und Natur in einem neuen öffentlichen Landschaftspark. Auf Basis eines 8 x 8 Meter großen Konstruktionsrasters schuf er eine expressiv gestufte Anordnung mit einer raumabschließenden Fassade aus Cor-Ten-Stahlprofilen und goldschimmernden Sonnenschutzfenstern. Zum eigentlichen Merkmal sollten allerdings die weißen horizontalen Sichtbeton-Bänder werden, die Terrassen und Fluchtwegbalkone umfingen. Auch das Innere unterstrich den Quantensprung der Bank: Große Foyers prägten mit flexiblen Sitzgruppen und ersten Computerterminals, Kunstinstallationen der Gruppe ZERO sowie orange-braun-weißen Arbeitswelten mit eigens entwickelten Möbeln im Soft-Egde-Design der siebziger Jahre das Geschehen.

 

Erscheinungsbild von Otl Aicher

Mit dem Münsteraner Bau waren die Maßstäbe für die anderen Bauten gesetzt. Ganz im Sinne von Otl Aicher, der parallel das universelle Erscheinungsbild der Bank entwickelte. Kurz darauf entstand in Dortmund (1975-78) ein zweiter Bau. Inmitten einer Fußgängerzone fügte Deilmann einen urbanen Superblock im WestLB-Look (zusammen mit einer Niederlassung der Dresdner Bank) ein. Und wahrlich: Wer diesen heute besucht, muss an einen großen Tanker denken – selbst Bullaugen, hochaufragende Schornsteine und Außendecks sind vorhanden. Bei aller Grobheit aus heutiger Sicht, lassen sich jedoch auch vielfältige, feine Bezüge zum Umraum ausmachen. Und noch mehr: Der Bau verfügt über ein stattliches Eigenleben, kein Geschoss gleicht dem anderen, überall verspringen, kippen, steigen, staffeln sich Volumen. Weitauskragende Vordächer sowie Passagenräume mit Boutiquen, Galerien und Restaurant lockten ins Innere und verdeutlichen, wie ambitioniert seinerzeit sich gerade eine Bank auch als öffentlichen Ort verstand.

Nahezu zeitgleich entstand ein weiterer, kleinerer Neubau (1976-79) in Luxemburg, diesmal inmitten eines Villenviertels. Mit der Vornehmheit einer Botschaft zeigte sich hier die WestLB als Miniaturausgabe des Mutterhauses. Wieder staffeln sich die weißen Betonbrüstungen in die Höhe, und umfangen mit wenigen Linien ein viergeschossiges Bürohaus, das zwischen seinen älteren Nachbarbauten würdig die Nachkriegsmoderne in dieser Stadt vertritt.

 

Großstädtische Architektur

In ganz andere Höhen kletterte dagegen das Raumprogramm in Düsseldorf, einem Projekt, das die wagemutige Gründerzeit auch baulich beschließt. Erste Planungen im Büro Deilmann erfolgten schon 1974, doch schleppte sich die Fertigstellung des zweiten Hauptsitzes der Bank – auch aufgrund des spektakulären Poullain-Rücktritts 1977 – bis in das Jahr 1986. Der Neubau füllt einen ganzen Block der Düsseldorfer Friedrichstadt aus, ein ehemaliges Dominikanerkloster musste weichen, einzelne Altbauten intergiert werden. Zunächst mit zwei Türmen in Terrassenbauweise konzipiert, wurde es später nur mit einem zwölfgeschossigen Turm errichtet. Anstelle des weißen Sichtbetons kamen hier von Beginn an silberne Aluminiumbrüstungen zum Einsatz, die die Arbeitswelt der 1.400 Mitarbeiter noch großstädtischer, ja, amerikanischer wirken ließen – einen Eindruck, den auch Lobby wie Restaurant und Gartenhöfe unterstrichen.

 

WestLB-Gebäude wichtiger Beleg der Nachkriegsmoderne

Im Rückblick ergeben die WestLB-Neubauten als wichtiger Beleg der Nachkriegsmoderne in ihrer Gesamtheit eine eindrucksvolle Gebäudefamilie. Bei gleichem Erscheinungsbild zeigen sie ein Panorama unterschiedlicher Strategien: Münster – die Landschaft, Dortmund – der Stadtbaustein, Luxemburg – die Villa, Düsseldorf – der Stadtblock. Hierbei verzichtet Deilmann auf Pomp und Pathos, vermeidet starke Symmetrien, sondern komponiert so, wie es äußere Faktoren zulassen und innere Raumkräfte erfordern. Er gelangt zu einer eigengesetzlichen Raumsprache, jeder Bau zu einer detailreichen, expressiven Form in permanenter Spannung.

 

Noch sind alle Gebäude weitgehend erhalten, wenn auch Sanierungen die Innenwelten stark verändert haben. Den Hauptsitz Münster hat schon seit geraumer Zeit die zunächst bankeigene, jetzt selbstständige Landesbausparkasse LBS in Gänze übernommen und sichert zumindest so das äußere Erscheinungsbild. In Düsseldorf werden Umstrukturierungen erwartet, ebenso in Luxemburg: Ein neuer Eigentümer überdenkt derzeit mögliche Optionen, darunter auch den Abriss. Es ist dringend zu prüfen, sie unter Denkmalschutz zu stellen. Dortmund hat es bereits getan. Das Gebäude soll künftig als Gesundheitshaus dienen. Lebendig halten ist sicher die beste Devise. Gerade diese Architektur der siebziger Jahre wird ihren Wert in der Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit noch steigern können.

 

Stefan Rethfeld

Zum Artikel: www.sueddeutsche.de