Spannung im Bahnhofsviertel
so gesehen
Ausgabe 02.2012
architektur stadt ms (2012)
Bahnhofsviertel Münster - Gebiet zwischen Stillstand und Bewegung. Foto: Stefan Rethfeld

Bahnhofsviertel Münster - Gebiet zwischen Stillstand und Bewegung. Foto: Stefan Rethfeld

Welch’ ein Paukenschlag für die Kunststadt Münster! Außerhalb des zehnjährigen Skulptur Projekte-Taktes (die nächste ist für 2017 geplant) konnte der renommierte Frankfurter Künstler Tobias Rehberger für ein Projekt gewonnen werden: er soll 69 Schaltkästen im Bahnhofsviertel künstlerisch gestalten.

Und nichts wäre gegen dieses Projekt vorzuführen, wenn es rein mäzenatisch getragen würde. Doch den stattlichen Projektetat von 500.000 EUR stemmen private (ISG Interessengemeinschaft Bahnhofsviertel) und öffentliche Förderer (Land u. Stadt) gemeinsam: letztere geben sogar 60 % rarer öffentlicher Mittel hinzu. Und so muss das Geschenk doch näher betrachtet werden.

Denn gerade in Zeiten und Tagen, da selbst eine Bahnhofsmission um Pappbecher bettelt, kann die bereitgestellte Summe nur verwundern, auch sind Zweifel an Wirkung und Nachhaltigkeit des Schaltkasten-Projektes angebracht. Und noch viel mehr: es droht, die Entwicklungsarbeit drängender Leitfragen zu ver-decken.

Welchen Stellenwert soll das Bahnhofsviertel künftig als Kultur- u. Tourismusort einnehmen? Welche Rolle spielen Einzelhandel, Büroentwicklung, urbanes Wohnen? Wie präsentieren sich baukulturelle Zeugnisse, darunter der 1950er-Bahnhof, das Paul-Gerhardt-Haus oder einst elegante Adressen der Bahnhofsstraße (Haus Oase, u. a.)? Wie kann noch mehr Aufenthaltsqualität (Berliner Platz, etc.) geschaffen werden, wie mehr Grünraum?

Wer diese Fragen öffentlich stellt, wird das für Münster einzigartige Viertel vielfältig zum Sprechen bringen – Ort für Ort, Haus für Haus. Und im Anschluss passgenaue Baumaßnahmen ableiten können. Kunst kann auch Katalysator sein: dann jedoch an gewichtigerer Stelle. Würde es sich nicht anbieten, Rehberger dann den Hamburger Tunnel (wird in diesem Jahr 100 Jahre alt) oder gleich den größten Schaltkasten im Gebiet, die bestehende Empfangshalle zu geben: als Eingangstor zur Kunststadt? DB AG und Stadt wären um eine modellhafte Kooperation reicher, die Architekturfrage, oszillierend zwischen Erhalt und Neubau, spannend gestellt.

So aber werden temporäre kleinteilige Stromkästen-Häkeleien auf Kosten von sorgfältiger Grundlagenarbeit die eigentlichen wuchtigen Vorgänge im Bahnhofsviertel (Abriss 1950er-Bahnhof/150 Meter langer Glasneubau) und Hochhausbau nur allzu gefällig garnieren. Zu wenig für Land, Stadt, Viertel – und für den Künstler selbst.

 

Stefan Rethfeld