Wohnwelten für morgen: Wohnbauforschung im Werk von Harald Deilmann
Zwischenbericht 3
16.5.2011
Stiftung Deutscher Architekten (2011)
Harald Deilmann: Personalwohnhäuser, Kurklinik, Bad Salzuflen, 1956 - Foto: Baukunstarchiv NRW / Nachlass Harald Deilmann

Harald Deilmann: Personalwohnhäuser, Kurklinik, Bad Salzuflen, 1956 - Foto: Baukunstarchiv NRW / Nachlass Harald Deilmann

Die zentrale Frage nach der architektonischen Gestalt stellte sich für Harald Deilmann von Beginn auch in zahlreichen Wohnprojekten. Analog zu ersten freistehenden Wohnhäusern, die sein Büro vornehmlich in Münster und Westfalen errichtete (s. DAB 11/2010), entwickelte er mit seinem Büro ab 1955 eine Reihe neuartiger verdichteter Wohnanlagen. Einer Kategorisierung in Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser entzog er sich früh, da er von Grund auf an einer Neuprogrammierung von Wohnformen interessiert war. Erstes direktes Anschauungsmaterial lieferten ihm – wie vielen in seiner Generation – die Projekte der Interbaut-Ausstellung (1957) im Berliner Hansaviertel. Beeindruckt von der städtebaulichen Zuordnung, den differenzierten Baukörpern und Grundrissen sowie der Material- und Farbwahl zeigte die Bauausstellung eindrucksvoll für Deilmann einen Weg auf, wie ein neues Bauen aus „unseren in Schematismus und Phantasielosigkeit erstarrten, unbefriedigenden Auf- und Neubaumaßnahmen herausführen könnte“.

 

Nicht für die Kunst, sondern für den Menschen bauen

Früh wendete er sich gegen eine ”l‘art pour l‘art”-Architektur, forderte stattdessen eine ”l‘art pour l‘homme”, ein Bauen für den Menschen – und beobachete unruhig das Baugeschehen. Rasch gelang es ihm, für eine wachsende Zahl von Bauherren, Wohnbauprojekte zu entwickeln. So zunächst im Kontext von Krankenhausplanungen (Bad Salzuflen / Engelskirchen, 1956; Bad Driburg, 1960), dessen Raumprogramme jeweils auch nach Personalwohnhäusern in größerer Anzahl verlangten. Wenig später auch für einzelne private Unternehmen, für die er Werkswohnungen entwickelte (Fraling, Nordwalde, 1965; Füchter, Münster, 1966). Als er 1963 an die TH Stuttgart berufen wurde, konnte er die bereits im Büro begonnene Forschung im eigenen Lehrstuhl für Gebäudekunde und Entwerfen systematisch ausbauen. Als Nachfolger von Hans Volkart (1895–1965), bei dem er selbst 1946-48 studiert hatte, erweiterte er den gebäudekundlichen Ansatz um neue Forschungsinhalte und Planungsmethoden mit internationaler Orientierung. Schließlich verlangte der Bauboom der Bundesrepublik nach neuen Aufgaben und Anforderungen.

 

Einfamilienhaus für morgen

Gleich eines seiner ersten Seminare (WS 1964/65) widmet er dem „Einfamilienhaus für morgen“. Ihm schien schon damals das Wohnen im freistehenden Einfamilienhaus aus sozialen, ökonomischen und städtebaulichen Gründen für ein überkommenes Privileg: „Dem Wohnen vor der Stadt gehen fundamentale Zusammenhänge verloren: Der Bewohner wird zum pendelnden funktionalen Objekt.“ Stattdessen forderte er eine höhere Besiedlungsdichte durch andere Wohnhausformate, eine elastischere Anwendung der Bauordnung zugunsten neuer Bauformen und damit verbunden bei Politik, Kommunen und Investoren mehr Experimentierfreude im Form von Versuchs- und Vergleichsbauvorhaben. Er beklagte, dass das Wohnen selbst und die Wohnungen an eingefrorenen Einheitsvorstellungen ausgerichtet seien und überholte Leitbilder sich in gesetzlichen DIN-Normen verfestigt haben.

 

Lerne Wohnen !

In Vorträgen und Ausstellungen („Lerne Wohnen!, 1967) plädierte er nachdrücklich dafür, dass bei vielen die „brachliegende Wohnphantasie“ wieder angeregt werden müsse. Anstelle konventionelle Wohnformen zu addieren, war er an architektonischen Möglichkeiten neuen kollektiven Wohnens interessiert, an anpassungsfähigen Grundrissen mit größtmöglicher Nutzungsneutralität und Größenveränderbarkeit. Das jeweils passende Wohnformat sah er erreichbar durch vier grundlegende Strategien: „Mobilität“ (Umzug), „Adaptabilität“ (Umnutzung), „Variabilität“ (Expansion/Reduktion) und „Flexibilität“ (Umbau). Gerade die letzte Kategorie verstand er als Herausforderung, setzte sie insbesondere auch flexible Installationen voraus, um Raumgefüge tatsächlich auch wechselseitig unterteilen, fusionieren oder verbinden zu können.

 

Die Forschungen zunächst in Stuttgart, ab 1969 an der neugegründeten Dortmunder Universität mündeten 1973 in zwei auch international wahrgenommene Publikationen „Wohnungsbau“ (1973) und „Wohnbereiche“ (1977) und in zahlreiche ausgeführte Bauten. So entstanden bemerkenswerte Wohnanlagen beispielsweise in Münster (Apartmenthaus Segger, 1968), Dülmen (Motel-Wohnungen, 1969) und Dortmund (Versuchsprojekt An der Palmweide, 1971). Eine Vielzahl von Wohnanlagen für Schüler und Studenten, Senioren, Familien, Dozenten in Form von  Apartmenthäusern, Wohnparks und Geschäftshäusern entstanden nachfolgend in den unterschiedlichsten Haustypologien und Grundrisslösungen.

 

Experimentelle Wohnbauforschung heute wieder aktuell

In vielen Argumenten erschienen die Fragen, die nahezu ein halbes Jahrhundert zurückliegen, bekannt und aktuell. Gerade in jüngster Zeit setzen Baugruppen wie beispielsweise das Projekt R50 (ifau, Jesko Fezer) verstärkt wieder auf neue Wohnformate und entwickeln anhand von Graphen neue räumliche Bezugssysteme. Die seinerzeitige experimentelle Wohnbauforschung sollte hier unbedingt als Ressource dienen. In der Dissertation wird dieser für Deilmann prägende Forschungsansatz nicht nur dargestellt, sondern auch in ihren hoffnungsvollen Möglichkeiten ebenso wie in ihren Unmöglichkeiten aus heutiger Sicht bewertet.

Stefan Rethfeld

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