Städtebau: Verdichtung und Entgrenzung
so gesehen
Ausgabe 06.2011
architektur stadt ms (2011)
Spalt im Häusermeer: Urbanität entsteht durch Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Überraschung. Foto: Stefan Rethfeld

Spalt im Häusermeer: Urbanität entsteht durch Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Überraschung. Foto: Stefan Rethfeld

Spätestens mit den Debatten zum Demographischen Wandel und zur energieoptimierten Stadt feiert ein Begriff eine fulminante Renaissance: städtische Dichte. Und für viele Fachleute, allen voran Vittorio M. Lampugnani (ETH Zürich), ist klar, das kein Weg an verdichtetem Bauen vorbeiführt: »Die Notwendigkeit der Dichte steht nicht zur Debatte, weil sie funktional, ökonomisch, ökologisch, gesellschaftlich und kulturpolitisch unvermeidlich ist.«

Zu diskutieren sind hierbei – wie es jüngst eine Konferenz der TU Graz »Dense Cities – Architecture for living closer together« (26. – 28. 5.) formulierte – urbane Verdichtungsszenarien auf allen Maßstabsebenen: die Dichte von Infrastrukturen, höhere Bebauungsdichten, die Dichte von unterschiedlichen Nutzungen, die Dichte von Wohn- und Arbeitsangeboten und die Dichte im Sinne der Entwicklung kompakter Gebäude und Hüllformen bei energetischen Anforderungen. Doch wieviel Dichte ist uns gerade im Städtebau der gewachsenen Innenstadt zuzumuten? Schließlich kennt nicht nur die Tierwelt den Begriff des »Gedrängefak-tors« und bei biologischen Populationen räumlichen Stress.

Schnell wird deutlich, dass rein gesetzliche Sicherungssysteme in Form von Bebauungsplänen, die mit ihren Faktoren GFZ (Geschossflächenzahl) und GRZ (Grundflächenzahl) das Maß der baulichen Nutzung begrenzen, keinesfalls stadträumliche Qualität sichern.

Auch in der Boomstadt Münster entspringen etliche Neubauten der einfachen Renditelogik »Mehr ist Mehr« und ehemalige Brachflächen, Baulücken, Garagenhöfe, Pfarr- und Klostergärten sowie Sportplätze wurden vielfach nur zugestellt.

Die Zukunft einer nachhaltigen Stadt wird aber gerade im stadträumlichen Raffinement liegen: in einer Architektur der Entgrenzung. Und das Vermitteln dieser kulturellen Botschaft liegt nicht nur in der Verantwortung der Politiker und Planer, sondern baut vor allem auf Eigentümer und Bewohner selbst, die vielfach umdenken müssen.

Entgrenzung bedeutet, die Stadt als Ort der Vielfalt, der Unterschiedlichkeit und der Überraschung zu verstehen. Als Ort für Begegnung und Rückzug, der Erwartung und der Entspannung. Stadt als unendliche Raumabfolge, gerade auch wieder verstärkt für den langsameren Verkehr, für Fußgänger und Radfahrer.

Künftig muß die Nahsicht auf Stadt und Architektur wieder Konjunktur haben und die Leitfrage heißen: wie kann urbaner Raum raffinierter weiterentwickelt werden? Wie städtisches Leben noch vielseitiger?

Und: Architektur der Entgrenzung ist in Münster nicht ohne Tradition: bereits die Prinzipalmarkt-Arkaden, der Theater-Innenhof, die Bücherei-Gassen laden ein, den Stadtkörper mehrdimensional zu erleben und lassen ein Drinnen oder Draußen verschwimmen. Nicht weniger als ein »Schengener-Abkommen« für die Stadt ist notwendig: offene Grenzen, freier Raum, barrierefrei – und architektonische Intelligenz an allen Lini-enverläufen.

 

Stefan Rethfeld