Weite Welt Westfalen
so gesehen
Ausgabe 08.2010
architektur stadt ms (2010)
Westfalen von oben: ein Land so groß wie Israel, bevölkert wie Österreich, in einer Dichte wie Indien. Foto: Stefan Rethfeld

Westfalen von oben: ein Land so groß wie Israel, bevölkert wie Österreich, in einer Dichte wie Indien. Foto: Stefan Rethfeld

Während eines Fluges über Westfalen ist die Weite die eigentliche Sehenswürdigkeit. Alles Gebaute verblasst als dünne Architekturkruste auf dem Boden – und wirkt wie das meiste grafisch: Felder, Wiesen, Äcker, Wälder. Nur Höfe, Wasserburgen, Kleinstädte werfen kleine Schatten. Weniges ist dabei übrigens ad hoc benennbar. Oder würden Sie etwa Seppenrade aus der Luft erkennen? Da bedarf es schon größerer Landmarks: hier die Wasserburg, da das Autobahnkreuz oder gleich das gesamte Band des Dortmund-Ems-Kanals, das uns von Münster bis in den Luftraum des Ruhrgebietes begleitet.

Und selbst das dichte Revier bietet wenig Augenpunkte. Von weitem blitzt zwar die Schalke-Arena, und hier und da rauchen Kraftwerke, schlängeln sich Straßen und Schienen. Doch – ist das schon Bochum? Erst als die Hochhäuser von Essen weit aus dem Ruhrkochtopf herausragen, gelingt im Cockpit wieder die Orientierung.

Ein Flug über Westfalen, so unternommen jüngst am Tag der A40-Sperrung, zeigt einmal mehr ein weites, ebenes Land. Und wie dieses Stück Erde da unten in Gelb-, Grün- und Brauntönen so entspannt liegt, überrascht es erst recht im abstrakten Vergleich.

Mit seinen acht Teilen, dem Münster-, Sauer- und Siegerland, Ostwestfalen, Hellwegbörde, dem Tecklenburger und Wittgensteiner Land und dem nördlichen Ruhrgebiet beträgt seine Fläche mehr als 21.000 Quadrat-kilometer, womit es etwa 10.000 mal so groß wie Monaco ist, doppelt so groß wie Jamaika, und halb so groß wie die Schweiz.

Sagen wir, auf Augenhöhe mit Israel. Dies übrigens auch in puncto Einwohnerzahl. Denn als 8-Millionen-Menschen-Land ist es zwar leicht kleiner als das Rheinland (10 Millionen), doch bekanntermaßen größer wiederum als so mancher EU-Staat, beispielsweise als Österreich. Und dies in einer durchschnittlichen Dichte, die der von Indien (380 Einwohner / Quadratkilometer) oder den Niederlanden gleicht.

Ein weites Land also. So sehr, dass es aber auch so manchen Kommunalpolitiker unruhig macht und Begehrlichkeiten schafft. Denn wo so viel Fläche ist, kann doch noch kräftig Bauland ausgewiesen werden.

Hinunter daher auf den Boden zu den beklagenswerten Fakten: zum Flächenfraß. Über 15,5 Hektar Freiraum oder gut 20 Fußballfelder werden täglich (!) in NRW für neue Straßen, Siedlungen oder Gewerbeparks betoniert. Nicht erst die neue rot-grüne Landesregierung sieht daher hier dringenden Handlungsbedarf, auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat auf nationaler Ebene ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben: bis 2020 soll der Verbrauch bundesweit auf 30 Hektar gesenkt werden. Für NRW würde dies eine Senkung von über 80 Prozent bedeuten.

Ein Weiter so war somit gestern. Geradezu zwingend wird es verstärkt auf Reaktivierung bestehender Flächen ankommen, auf Umnutzung, Nachverdichtung, interkommunale Zusammenarbeit und Ausgleichsmaßnahmen – Hektar für Hektar. Damit Westfalens Weite auch weiterhin sehenswürdig bleibt.

 

Stefan Rethfeld