Schlossplatz Münster: Ran an ein altes Problem
Warum Münster eine Musikhalle auf dem Schlossplatz plant
19.10.2007
Süddeutsche Zeitung (2007)
Schlossplatz mit Schloss in Münster - Foto: Stefan Rethfeld

Schlossplatz mit Schloss in Münster - Foto: Stefan Rethfeld

Der weite Platz gleicht einem Gebrauchtwagenmarkt. Soweit das Auge reicht, parken Autos, Wagentür an Wagentür. Weit hinten liegt es: das Barockschloß. Berlin und Potsdam dürften Münster darum beneiden, denn hier wurde es gleich in der Nachkriegszeit wieder aufgebaut. Doch obwohl es seitdem Sitz der Westfälischen Wilhelms Universität ist, spielt es im Alltag der Stadt kaum eine Rolle. Auch nicht für Touristen. Es steht einfach rum.

Gerade mal fünf Fahrradminuten sind es bis zum Dom. Die gefühlte Distanz ist aber weitaus größer. Was mitunter an der Historie liegen mag, denn der Ort wurde bewusst mit Abstand zu den Bürgern gewählt. Bischof Christoph Bernhard von Galen, der nach dem Dreißigjährigen Krieg residierte, traute den Münsteranern nicht, hatten sie ihm doch die Gefolgschaft versagt und er sie nur durch Belagerung in die Knie gezwungen. Um sie beobachten zu können, brach er daher die Wallanlagen auf, ließ eine fünfsternige Zitadelle anschütten und plante obenauf sein Schloss mit weit vorgelagertem Schussfeld zur Stadt. Jenem Platz, wo heute die Autos stehen.

 

Mehr fürstbischöflicher Glanz für die Stadt

Gedanklich liefen Magistrat und Domkapitel gegen das hässliche Bollwerk Sturm. Über Jahrzehnte rang die Stadt mit den jeweiligen Fürstbischöfen, die allesamt Münster nur auf Durchgangsreisen beglückten. Mit der Zeit erkannte die Stadt aber, dass es von Vorteil wäre, wenn dem jeweiligen Fürstbischof statt einer unkomfortablen Wohnung am Dom ein eigenes Residenzschloß samt Park zur Verfügung stünde. Gleich dem erstarkenden Adel mit seinen Stadtpalästen, würde mehr fürstbischöflicher Glanz dem Image der Stadt nur gut tun.

1719 kommt denn auch durch Clemens August I. von Bayern Bewegung in die offene Schlossfrage. Er hat sich bei seiner Wahl dem Bau eines Schlosses auf der Zitadelle verschrieben und lässt Gottfried Laurenz Pictorius, später den jungen Johann Conrad Schlaun Pläne erarbeiten. Doch erst sein Nachfolger Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels kann nach dem Siebenjährige Krieg 1767 dann auch tatsächlich den Grundstein legen. Schlaun, inzwischen siebzigjährig, übernimmt bei der Planung frühere Ideen – wie die Stadt und Schloss verbindende Ost-West-Achse oder den strengen Barockgarten auf der inzwischen geschleiften Zitadelle. Das Schloss selbst entwirft er als spätbarocke Dreiflügelanlage mit hohem Sockel, Piano nobile, Mezzanin und einem schiefergedeckten Mansarddach. Ein vorschwingender Mittelrisalit sowie kurze Seitenflügel bestimmen den Bau, und – typisch für Schlaun – roter Ziegelstein und heller Sandstein die Fassaden. Als Schlaun 1773 während der Bauzeit stirbt, sind nur der Außenbau sowie Wirtschaftsgebäude fertig gestellt.

Vollendet wird das Bauprojekt von Wilhelm Ferdinand Lipper, mit eigener klassizistischer Handschrift im Innenbereich und mit Englischem Garten. Tragischerweise erlebt weder der bischöfliche Bauherr die 1787 erfolgte Fertigstellung, noch nutzt es sein in Bonn residierender Nachfolger Maximilian Franz von Österreich. 1803 verliert das unbewohnte und geisterhafte Schloss durch die Säkularisierung vollends seine Funktion und verwandelt sich in einen preußischen Verwaltungsbau. Freiherr vom Stein und General Blücher teilen sich die Gemächer.

Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wagt kaum jemand an einen Wiederaufbau zu denken. Andere Gebäude, wie Dom und Rathaus, wiegen emotional mehr. Nur der Landeskonservator Wilhelm Rave kann sich nichts anderes vorstellen, und vermittelt das Hauptwerk von Schlaun 1946 geschickt an den Rektor der Universität als Verwaltungssitz. Mit der Ausführung wird ein Architekt, dem große repräsentative Bürobauten nicht fremd sind, beauftragt: Hans Malwitz. Er zählte zum Umfeld von Albert Speer in Berlin und lieferte die Pläne für die Wehrtechnische Hochschule der Nationalsozialisten.

 

Innen alles neu

Studenten arbeiten im Schichtdienst beim Aufbau. Dabei wird das Äußere nur leicht verändert, das Innere mit allein zehn Hörsälen bekommt dagegen ein neues Gesicht. Malwitz fügt repräsentative Treppenhäuser im schweren Stil der klassizistischen Staatsbauten der 1930er-Jahre ein und eine Aula, die an einen Kinosaal der 1950er Jahre erinnert. Wer heute durch das Schloss geht, spürt nicht nur spätbarocke Vergangenheit, sondern auch Preußen, das Dritte Reich und die Wirtschaftswunderzeit. Leider stören Automaten, Müllsortieranlagen, Kopierer und Brandschutztüren den räumlichen Eindruck; sie zeugen von Gedankenlosigkeit und einem wenig konzeptionellem Umgang mit dem baugeschichtlichen Potential des Schlosses. Zudem lässt eine von der Hochschulleitung jüngst angekündigte „ farbliche Aufpeppung“ eher Schlimmeres statt Exzellentes erahnen.

Neben den Zukunftsfragen zum Schloss ist auch der Platz davor zentraler Bestandteil der aktuellen Debatte, denn auf dem Hindenburgplatz, der bis 1927 noch „Neuplatz“ hieß, soll eine Musik- und Kongresshalle entstehen. Auf dem Platz wurde 1918 die Republik ausgerufen, er diente als Bühne im Dritten Reich, als Sammelplatz für Juden und als zentrales Zwischenlager für Trümmermassen. Als kürzlich der Sturm Kyrill sämtliche Alleebäume im Umfeld entwurzelte, fühlten sich viele an die Nachkriegszeit erinnert.

Unzählige Ideen und Pläne waren diesem leeren und zugleich vielschichtigen Ort gewidmet: von Skulpturen-Künstlern wie Per Kirkeby oder Sol Le Witt wie von Architekten. Die Berliner Axel Schultes und Charlotte Frank beispielsweise haben 1993 einen städtebaulichen Wettbewerb mit der Idee gewonnen, Schloss und Stadt durch ein lang gestrecktes Hippodrom zu verbinden. Gleich fünf erste Preisträgern, darunter Ortner & Ortner, gab es, als 2003 ein Kulturforum  samt Museum für Gegenwartskunst und Musikhalle entworfen werden sollte. Nun aber, nachdem der Landschaftsverband Westfalen-Lippe Ende 2006 aus Kostengründen als Baupartner für die Stadt Münster und das Land NRW ausgestiegen ist, wurde die große Forumsidee verworfen.

 

Geplanter Wettbewerb für eine Kongress- und Musikhalle

Stattdessen soll im Herbst ein dritter beschränkter Wettbewerb, nun nur noch für eine Kongress- und Musikhalle ausgelobt werden. Auch diese ist inzwischen ein Politikum ersten Ranges, da ihr Bedarf – nach Kriegszerstörung der Stadthalle – bereits seit 1949 erkannt ist, und den Münsteranern bislang noch immer kein Ersatzbau gelang. Bürger, die vor Jahrzehnten eine entsprechende Initiative gegründeten, hoffen auf Spenden und eine gemeinsame Finanzierung mit der Stadt. Von den schmal gerechneten 30 Millionen Euro Baukosten sind bereits mehr als 10 Millionen Euro von privater Seite eingegangen. Wenn die Stadt wie vorgesehen 12 Millionen dazugibt, fehlen noch acht – um tatsächlich, die Bagger zu bestellen.

Es wäre sinnvoll, das Neubauprojekt zusammen mit einer konzeptionellen Modernisierung des Schlosses und einer zeitgenössischen landschaftlichen Gestaltung des „Neuplatzes“ zu koppeln. Mit dem Projekt der Halle könnten sich die Bürger das alte Schussfeld wieder zurückerobern und das Schloss an die Stadt führen. Im Frühjahr soll der Wettbewerb entschieden werden. Bis dahin wird weiter geparkt.

 

Stefan Rethfeld

Zum Artikel: www.sueddeutsche.de