Kilowattstundensammler: Die Stadt als Energieproblem
In der Debatte um die Zukunft des Bauens bilden sich zwei Lager
30.3.2011
Süddeutsche Zeitung (2011)
München-Innenstadt: Luftbild - Foto: Maximilian Dörrbecker

München-Innenstadt: Luftbild - Foto: Maximilian Dörrbecker

Die neuen politischen Energieprämissen stellen auch die Städte in Deutschland vor eine Herkulesaufgabe. Neben den Fragen, in welcher Form sie ihre Energie beziehen, müssen sie sich vor allem fragen, wie Energie besser genutzt und gespart werden kann. Eine Frage, die zentraler nicht sein könnte, verstehen sich Städte seit jeher doch als Knotenpunkte der Energie. Hier laufen die Stromlinien eines Landes zusammen, auf sie sind die Adern des Verkehrs ausgerichtet, sie sind der Ort, in denen die meisten Menschen wohnen und arbeiten.

 

Stadt und Energie

Das Deutsche Institut für Stadtbaukunst der TU Dortmund hatte daher nach dem Gesprächsauftakt im letzten Jahr zur Folgekonferenz zum Thema „Stadt und Energie“ wiederum in die Düsseldorfer Rheingoldhalle geladen. Und nicht nur Architekten und Städteplaner waren gekommen, sondern auch Bausenatoren und Planungsdezernenten zahlreicher deutscher Städte, Politiker, Projektentwickler und Wohnungsbauunternehmer.

Das Thema war fürwahr nicht neu. Für die Kommunen nicht, auch nicht für die Architekten. Und doch gewinnt es an Brisanz: Denn erstmals sind die Folgen vieler Sanierungsmaßnahmen an Bestandsgebäuden sichtbar. Vermummte Häuser, plumpe Fassaden, verwackelte Architektur. Häuser, Straßenzüge, ganze Städte verlieren ihr Gesicht. Aus ehemaligen Stuck- und Backsteinfassaden werden kantige Wärmedämmverbundsystemputzfassaden. Und es ist dieser Umstand, der die Architekten derzeit geradezu traumatisiert. Auch der gastgebende Institutsdirektor und Architekt Christoph Mäckler beklagt gleich zu Beginn diese Entwicklung, die viele Orte identitätslos macht. Der Nürnberger Architekt Burkhard Schulte Darup warnt sogar davor, dass der Architektenberuf im Land der Technik immer mehr zum „Kilowattstundensammler“ verkomme.

 

Energie Sammeln, Verteilen, Speichern, Einlagern und Entladen

Grundlegender ruft der Darmstädter Architekturprofessor Günter Pfeifer denn die Möglichkeiten eines Hauses in Erinnerung: Gebäude können Energie nicht nur Sammeln, sondern auch Verteilen, Speichern, Einlagern und Entladen. Es sei verheerend, dass sämtliche Förderprogramme nur das Dämmen zum Ziel haben. Auch fordert er dringend dazu auf, Tages- und Jahreszyklen stärker miteinzubeziehen. Ebenso plädiert sein Hochschulkollege Manfred Hegger für eine neue Eigenlogik von Stadt und Architektur und mahnt an, neue Energiepotenziale zu erschließen und zu gestalten. Er sieht gerade die Architekten in der Verantwortung, anstatt billige Entwicklungen zu beklagen, die neue Komplexität auszuhalten und die Industrie mit ihren Ideen herauszufordern.

Ziemlich entspannt verfolgt der Berliner Architekt Klaus Theo Brenner diese Debatte und verweigert sich dem Expertenstreit zwischen den Anhängern des 19. und 21. Jahrhunderts. Denn die neue Erkenntnis sei doch, dass Energiefragen keineswegs neu seien. Für ihn ginge es vielmehr um Kontinuität: „Wir können aufsatteln auf die Kultur, die wir schon haben.“ Auch sein Stuttgarter Kollege Arno Lederer zeigt sich verwundert, dass heutzutage so getan werde, als seien Energiefragen neue Anforderungen: „Licht, Wärme, Kälte bestimmten von Beginn an die Architektur. Das Rad müsse doch gar nicht neu erfunden werden.“

 

Dichtes Bauen als eine Lösung

Die in vier Blöcken (Stadt – Neubau – Altbau – Stadtbild) gegliederte Konferenz wechselt oftmals die Betrachtungsweise: mit der Lupe wurden nicht nur mögliche Schwachstellen an Haus und Quartier aufgezeigt, sondern auch die Schwachstellen heutiger Stadtstrukturen beleuchtet. Durchgängig wurde deutlich, dass „Dichte“ das eigentliche Zauberwort für alle Ebenen darstellt. Doch viele Städte würde eine solche „Dichtheitsprüfung“ wohl kaum bestehen. Denn bekanntlich wird trotz aller Beteuerungen, dem Flächenfraß entgegenzuwirken, in Deutschland jeden Tag eine Fläche von 150 Fußballfeldern neu versiegelt.

Der Schweizer Architekturtheoretiker Lampugnani plädiert daher auch für eine „neue Stadt des Zusammenrückens“ und geißelt den heutigen Städtebau als Produkt falscher politischer Instrumente und finanzieller Anreize: „Suburban können wir uns nicht mehr leisten.“ Michael Braum, Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, pflichtet diesem Gedanken bei und fordert, die Pendlerpauschale erneut zu überdenken und die Regionalplanung sowie den ÖPNV zu stärken.

 

Vom Öl verführt

Boris Schade-Bünsow, neuer Chefredakteur der Bauwelt, sieht die jüngere Stadt- und Architekturentwicklung gar als 120-jährigen Evolutionsverlust: „Wir haben uns vom Öl verführen lassen. Hierbei haben wir das Häuserbauen verlernt, da Architektur und Handwerk, Entwurf und Produktion sich heute kaum noch etwas zu sagen haben.“ Als Beispiel beschreibt er ein Bauernhaus in den Alpen, dass mit seinem überstehenden Dach und kleinen Fenstern seinerzeit noch dem Klimakontext wirkungsvoll angepasst war. Die Verfügbarkeit jeglichen Materials und jeglicher Konstruktion lässt die Architektur heute aber wahllos erscheinen.

In der Schlusskurve der Konferenz ist es einmal mehr Christoph Mäckler überlassen, zu betonen, dass neue technizide Lösungen keinesfalls weiterführen und die Energiefrage nur mit einem neuen Stadtverständnis zu lösen ist. Dauerhaftigkeit wird auch hier gefragt sein.

 

Stefan Rethfeld

Zum Artikel: www.sueddeutsche.de