Architektur und Nachhaltigkeit
so gesehen
Ausgabe 04.2011
architektur stadt ms (2011)
Sanierungsalltag: Die Dämmung von Häusern führt nicht selten zum Gesichtsverlust. Foto: Stefan Rethfeld

Sanierungsalltag: Die Dämmung von Häusern führt nicht selten zum Gesichtsverlust. Foto: Stefan Rethfeld

Das Thema des Klimaschutzes ist nicht neu. Schon 1987 legte die Weltkommission den Brundtland-Bericht vor und führte damit das Wort ein, das bis heute als zentrale Vokabel jede Ansprache eröffnet: Nachhaltigkeit. Architekten kürzen es schon gerne als »N-Wort« ab, denn nach der Phase des kosten- und flächensparenden, folgte das energiesparende Bauen, auf diese Phase wiederum die Öko-Architektur und nun: das »N«-Bauen.

Nach den Boomjahrzehnten der 1950-70er Jahre stellten diese Entwicklungen ein Umkehrdenken dar. Und konservativ gedacht sind es lediglich Annäherungsversuche zurück zu den Grundfragen der Architektur: Licht, Wärme und Kälte bestimmen von Beginn an ihr Wesen. Auch klimagerechte Fassaden, speicherfähiges Material, die richtige Zonierung im Tages- und Jahreszyklus sind nichts richtig Neues unter der Sonne.

Wer beispielsweise die Tuchhallenhäuser in Görlitz berechnet, wird selbst hier schon einen Passivhausstandard vorfinden. Wie kaum ein anderes Thema verfängt sich das der Energie schnell in Details.

Allein die Wortwahl führt rasch zum Abschalten: K- und U-Werte, Effizienz und Erneuerbarkeit, Substitution und Suffizienz, Verbrauch und Vermeidung. In heutiger Förderantragspraxis wird da der Architekt flugs zum Kilowattstundensammler.

Es ist daher überfällig, das Nachdenken über Nachhaltigkeit wieder zu weiten. Auch politisch, denn eine jüngst konzipierte Kampagne des Bundesbauministeriums suggerierte, man müsse allen Häusern nur Pudelmütze und Wollpulli überstülpen. Dies wäre verheerend: es würde negieren, was Gebäude an sich leisten können: sie können Energie sammeln, verteilen, speichern, einlagern – und sie bewusst auch wieder abgeben. Der eindimensionale Dämmwahn, der nun landauf, landab um sich greift, negiert somit nicht nur architektonisches Potential, sondern verändert massiv auch das Stadtbild.

Auch in Münster zeigt sich zusehends diese verwackelte Architektur: vermummte Häuser mit plumpen Fassaden sind fast inzwischen in allen Vierteln zu finden. Aus ehemaligen Stuck- und Backsteinfassaden werden kantige Wärmedämmverbundsystemputzfassaden. Und meist billig montiert, werden sie sich in wenigen Jahren nicht selten als blinder Aktionismus erweisen, als Sanierungsfall und Sondermüll

Ein Nachdenken von Fall zu Fall scheint angemessener: nicht nur dass Gebäudezyklen und die Lebenszyklen der Bewohner in Einklang stehen sollten, auch bedürfen gerade Häuser im Bestand einer abgewogenen Planung. Die msa wird sich in den nächsten Wochen in einer sechsteiligen Reihe »sustainable by design: Nachhaltiges Bauen« diesen Fragen widmen. Diskutiert werden nicht nur Strategien für den Bestand, sondern auch für klimaneutrale Neubauten bis hin zu den Fragen eines energieoptimierten Städtebaus – dem wesentlichstem Gedanken für Nachhaltigkeit überhaupt.

 

Stefan Rethfeld