Grün, grüner, Münster?
so gesehen
Ausgabe 03.2009
architektur stadt ms (2009)
Blick vom Iduna-Hochhaus auf den Servatiiplatz. Foto: Stefan Rethfeld

Blick vom Iduna-Hochhaus auf den Servatiiplatz. Foto: Stefan Rethfeld

Das war knapp. Um nur wenige Punkte unterlag Münster den beiden Hafenmetropolen Stockholm und Hamburg, die nun 2010 bzw. 2011 zur Grünen Hauptstadt Europas gekürt wurden. Erstmals hatte die Europäische Kommission dieses Verfahren initiiert, um für lokales Bewusstsein und internationalen Austausch in Umweltfragen zu sorgen. Denn wer kennt nicht die Müllberge von Neapel, den Wintersmog von London oder noch die Ozonprobleme in vielen deutschen Städten.

Und es sind Fragestellungen, die alles andere als abstrakt sind, da sie jeden einzelnen betreffen: wie wohnen, heizen und waschen, kochen und beleuchten, wie uns bewegen und ernähren? Und wie muss eine Stadt sich aufstellen, um diese Bedürfnisse möglichst umweltschonend zu erfüllen?

Auf den über 100 Seiten, die Münster nach Brüssel schickte, ist so auch alles zusammengetragen, was irgendwie grünt: Was Münster zum Klimawandel beiträgt, wie sich der städtische Verkehr entwickelt, wie Grünflächen verfügbar sind und welche Qualität die Luft erreicht. Auch gab sie über Lärm, Abfall und Wasser Auskunft, über die Flächennutzung im Stadtgebiet und was Behörden zum Umweltschutz beitragen.

Dass Münster es aus einem Feld von 35 Bewerberstädten mühelos ins Viertelfinale und schließlich auf Platz 3 schaffte, kann ohne Einschränkung als großer Erfolg gewertet werden. Denn längst sind in Münster viele nachhaltige Lösungen bei den Bürgern in den Alltag übergegangen, von der Bachpaten-schaft bis zum Gartenabfallsack. Und asiatische Besucher empfanden das Stadtgebiet gar als Nationalpark – wie kürzlich persönlich erlebt.

Also: grün, grüner, Münster? Sicher nicht. Natürlich sucht ein Fahrradanteil von 35 Prozent europaweit seinesgleichen, doch hat Münster mit knapp 600 Autos auf 1000 Einwohner auch eine nahezu italienische Autodichte. Und es erleben viele Münsteraner gerade, wie ein Autobahnausbau neuen Lärm in sämtliche westliche Stadtteile trägt und ganze Wohnsiedlungen entwertet werden. Oder wie der Kanalverbreiterung maßgebliche Uferparks, Badestellen und Alleenbäume zum Opfer fallen oder wie neue Gewerbeparks und 34 Baugebiete große Flächen versiegeln.

Auch dass erst ein Umweltgutachten notwendig ist, um heutzutage Verkehrsplanungen aus den 60er-Jahren (Nordtangente) zu kippen, stimmt bedenklich. Und nicht zuletzt fällt trotz Auszeichnung für den Aaseepark auf, dass die Sparte Landschaftsarchitektur im Stadtgebiet eine vergleichsweise kleine Rolle spielt. Den Gegenbeweis könnte die Stadt zusammen mit dem Land auf dem Hindenburgplatz antreten. Die Grüne Stadt will jeden Tag erneut verteidigt werden. Gerade auch auf dem Gebiet des Städtebaus und der Architektur. Das Brüsseler Ergebnis ist Freude und Verpflichtung zugleich. Zur Feier des Tages werden wir einmal die Promenade joggend umrunden.

 

Stefan Rethfeld