Einen Stadtstaat regieren ist vermutlich leichter. Wer dagegen in der Düsseldorfer Staatskanzlei das Konstrukt NRW führt, muss die beiden Hälften Rheinland und Westfalen in besonderer Weise im Auge haben. Oder noch besser: gleich 396 Städte und Gemeinden, darunter mehr als 30 Großstädte. Denn NRW ist bekanntlich mit 18 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste deutsche Bundesland: größer als die ehemalige DDR oder die Niederlande.
Begeistert muss sein, wer sich die Kulturlandschaft vor Augen führt, mit ihren 693 Museen, darunter 105 Kunstmuseen, oder den 27 Sinfonieorchestern, den Konzertsälen, Theatern und Festivals. Nur: kaum jemand weiß von dieser Dichte. Richtigerweise hat sich daher die CDU/FDP-Regierung in Düsseldorf nach ihrem Amtsantritt 2005 zum Ziel gesetzt, Kultur als Markenzeichen auszubauen und auch den Kulturetat bis 2010 zu verdoppeln. Natürlich ist allen Beteiligten bewusst: mehr als 85 Prozent der Institutionen werden durch die Kommunen finanziert.
Dennoch muss erlaubt sein, was die Staatskanzlei versucht: dieser reichen Kulturlandschaft ein klareres Profil zu geben und Stärken hervorzuheben. Ein dazu erstelltes Expertengutachten hat jüngst viele verärgert, auch die Münsteraner und Westfalen, deren Kulturadressen nahezu gar nicht erwähnt werden. Doch das Entsetzen ist wenig berechtigt, sondern eher falscher Alarm.
Denn gesucht waren nicht verdienstvolle Kulturarbeiter vor Ort, sondern Institutionen von europäischer oder sogar von Weltgeltung. Und so schön es wäre, das Städtische Symphonieorchester auf Asientournee zu schicken, ein Stück des Stadttheaters beim Theatertreffen in Berlin anzutreffen, oder Teile des Landesmuseums während der Bauzeit in Paris zu präsentieren. In der Liga spielen wir nicht mit.
Tatsächlich hat Münster derzeit nur auf dem Gebiet der Kunst (Skulptur-Projekte), der Literatur (EU Poesie-Preis, Lyrikertreffen) und des Tanzes (Daniel Goldin) internationales Format. Es wäre maßlos, nach mehr zu trachten. Stattdessen ist Münsters Kulturleben noch mehr Vielfalt und Inspiration zu wünschen. Und hier können gerade die großen Institutionen noch sportlicher werden: denn das fünfspartige Theater spielt zwar auf Hochtouren und steht doch den Fragen der Zeit in großer Gleichgültigkeit gegenüber, ein Theatercafé wird von der Stadt zu einer seelenlosen Unadresse umgebaut (und wirbt derzeit mit Bonsaibäumchen für den chinesischen Staatszirkus), von fehlenden Orten wie Musikhalle und Literaturhaus gar nicht erst zu reden.
Münster muss aus eigener Kraft zulegen. Mit neuer Wachheit, inhaltlich wie organisatorisch. Düsseldorfer Anerkennung ist schon gar nicht zwingend, getreu dem Motto: Je langweiliger das Kind, desto mehr Komplimente bekommen die Eltern. Münster – werde einfach frecher.
Stefan Rethfeld