Geisberg und die Jetztzeit
so gesehen
Ausgabe 06.2010
architektur stadt ms (2010)
Auch heute ist Umbruchzeit: Baustelle des neuen Landesmuseums am Domplatz. Foto: Stefan Rethfeld

Auch heute ist Umbruchzeit: Baustelle des neuen Landesmuseums am Domplatz. Foto: Stefan Rethfeld

Ein Name ist mit der Baukunstgeschichte in Münster in besonderer Weise verbunden: Max Geisberg. In Münster am Domplatz 1875 geboren und aufgewachsen, wirkt er vor allem als Direktor des seinerzeit neu errichteten Landesmuseums in zwei institutionell maßgeblichen Phasen: 1911–1934 und nochmals 1940–1942. Sein Hauptwerk hinterlässt er bekanntlich in Buchform, genauer gesagt in sechs im Zeitraum 1932–1937 erschienen Bänden, in denen er, wie kein anderer vor ihm, das Gebaute dieser Stadt dokumentiert: Stadtmauer, Dom, Kirchen, Rathaus, Adelshöfe, Bürger- und Wohnhäuser.

Mit gutem Auge und scharfem Spürsinn vertieft er sich in die mehrere Jahrhunderte umfassende Papier- und Steinwelt. Er gräbt nicht nur nach Papier, ob im Landesmuseum, in Staats- und Stadtarchiven, beim Bistum, der Regierung oder in Zeitungsarchiven, sondern er gräbt auch in manchen Fundamenten und durchleuchtet Fachwerkfassaden und Dachstühle.

Bereits als Student führt sein Röntgenblick 1887 zum berühmten Kreuztorfund: hier hatte er Hügel und Wälle der alten Wehranlagen so gut studiert, dass er gleichsam durch sie auf ein verborgenes System von Mauern hindurch sehen konnte – der berühmte Figurenschatz des 14.–16. Jahrhunderts lag schichtenweise dahinter.

Geisberg ist angetrieben von seiner Zeit, die nach vorne strebt, doch zieht es ihn im gleichen Maße hinein in das Reich der Geschichte, auf der Suche nach Authentischem und Überlieferbaren. Denn je mehr sich erneuerte, desto mehr würde auch verloren gehen, ja vergeudet werden – so seine Klage.

Als er den ersten Band vorlegt, ahnt er bereits wiederum eine neue Zeit, »in der die frühere lebendige Verbindung mit der alten Überlieferung der Heimat abzureißen droht.« Dass erste Bomben die Stadt treffen, erlebt er noch, an seinen Jugenderinnerungen schreibend.

Die Dramaturgie ist bezeichnend: denn kurz vor seinem Tod im Juni 1943 schafft er es noch, sein sechsbändiges Werk abzuschließen und auch als Interimsdirektor den Großteil aller Kunstwerke des Museums auszulagern. Nur wenige Monate später wird Münster weitestgehend zerstört. Geisberg blieb dieser Anblick erspart. Sein Inventar wird der Stadt zum Vermächtnis und für den Wiederaufbau eine maßgebliche Quelle.

Ohne ihn sähe Münster heute anders aus. Das Schichtwerk Münster ist nur aufgrund seiner Studien noch erlebbar. Im 25. Jahr seines Bestehens nimmt das Theater im Pumpenhaus das Geisberg’sche Werk und seine Wirkung zum Anlass, der Lebensspur Max Geisbergs zu folgen und die Fragen von Kunst, Kultur und Geschichte erneut aufzurufen (s. kalender 13.6.). Ob als Theaterstück von Burkhard Spinnen oder als Erkundungstour: die Stadt mit ihrer Geschichte wird zum Theater im besten Sinne. Auch heute ist Umbruch-zeit. Am besten, Sie kommen hinzu.

 

Stefan Rethfeld