Endstation Sehnsucht?
so gesehen
Ausgabe 09.2008
architektur stadt ms (2008)
Baumhaus bei Haus Dahl, Münster-Angelmodde. Foto: Stefan Rethfeld

Baumhaus bei Haus Dahl, Münster-Angelmodde. Foto: Stefan Rethfeld

Bauen und Reisen sind Ur-Tätigkeiten des Menschen. Anthropologen zufolge verlangt ein jeder von uns nach Schweifen und Seßhaftigkeit. Dabei bedingen sich das Mobile und das Immobile, denn von Orten baut der Mensch seine Beziehung zur Welt aus. Schenken wir dem Architekturtheoretikern Vitruv und später Marc-Antoine Laugier Glauben, dann nahm die Welt der Architektur in einer simplen, rustikalen Urhütte ihren Anfang: ein Mensch in seinem ursprünglichen Zustand, baut sich ohne jede Hilfe, eine erste Hütte aus Ästen. Er schafft sich damit einen eigenen Schutz- und Ruheraum, einen Winkel zur Welt.

Noch heute steckt dieses Ideal in unseren Köpfen. Denn was gibt es Großartigeres für Kinder als ein selbstgezimmertes Baumhaus? Und so klapprig es auch bisweilen daherkommen mag, entspringt es dem festen Willen, das Vertraute gegen das Unbekannte einzutauschen. Durch die Kulturgeschichte hindurch entspann sich so das Reisen des Menschen als eine Geschichte der gewollten Entfremdung.

Besonders Künstler lockte es immer wieder in die Ferne, zu den „Orten der Sehnsucht“, wie auch die Jubiläumsausstellung des Westfälischen Landesmuseums in Kürze darstellen wird. Vor 100 Jahren war das Haus noch als „Museum für Vaterländische Altertümer“ gegründet worden und verstand sich als konservierende Instanz. Doch schon bald erweiterte es seinen Auftrag über das Regionale hinaus und zählt heute zu den internationalsten Orten der Region. An kaum einem anderen Ort in Münster haben die Besucher so viel Gelegenheit zum intellektuellen Grenzverkehr mit der Welt.

Dabei zeigt die Baugeschichte, dass Münster sich nicht erst im 20. Jahrhundert nach Internationalem sehnt. Ermöglicht durch großzügige fürstliche Reisestipendien begaben sich die Baukünstler im 17. und 18. Jahrhundert auf Grand Tour durch Europa. Ob Pictorius die französische Architektur beim Beverfoerder Hof an der Königsstraße aufgreift, oder Corfey bei der Dominikanerkirche Eindrücke aus Paris und Rom umsetzt, ganz zu schweigen von Schlaun, der seine Eindrücke aus Italien, Frankreich, Niederlande, aus Flandern und Österreich zum eigenen spätbarocken Stil mit regionaler Note verbindet.

Gerade die Architekturentwicklung in Münster hat von diesen Schüben immer wieder profitiert. Noch heute können wir also an der Salzstraße Rom sehen und an der Königsstraße Paris. Nebenbei sei bemerkt, dass Reisen ja zumeist deshalb so interessant ist, weil es eine Kette von „Erstmaligkeiten“ darstellt.

Im Gegensatz dazu wird die große Sehnsuchtsausstellung etwas „Letztmaliges“ sein. Denn im Anschluss werden große Teile des Museums abgerissen und durch eine Neuplanung von Volker Staab bis 2012 ersetzt. Lange werden wir daher nur in eine tiefe Baugrube sehen – auch eine Art, Sehnsucht zu wecken.

 

Stefan Rethfeld