Versuch’s doch mal mit Styropor
Eine Konferenz der TU Dortmund beklagt die Architektur der deutschen Städte
15.3.2010
Süddeutsche Zeitung (2010)
Düsseldorf: Rheinterrasse - Foto: Wiegels

Düsseldorf: Rheinterrasse - Foto: Wiegels

Solch eine Konferenz hat es in den vergangenen zwanzig Jahren in Deutschland nicht gegeben: Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne, die Gründer des jüngst an der Technischen Universität Dortmund eingerichteten Deutschen Institutes für Stadtbaukunst, hatten zu einer Tagung über „Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ geladen: Sechzig Architekten und Stadtplaner versammelten sich in den Rheinterrassen in Düsseldorf, Denkmalpfleger, Juristen, Politiker und die Planungschefs sämtlicher deutscher Städte von Lübeck bis Freiburg, und von Münster bis Dessau. Deutlich bekannte Mäckler sein Unbehagen am Zustand der deutschen Städte, verursacht durch zu viele Zuständigkeiten.

 

Unbehagen am Zustand der deutschen Städte

Bereits im Vorfeld polarisierte die Veranstaltung. Viele erwarteten eine konservative Debatte. Doch einfache Antworten gelangen fast bei keinem der zehn großen Debattenpunkte, die die zwei Tage strukturierten. Ob Stadttheorie oder Stadtgesellschaft, Stadtpolitik und Stadtbild, Stadtverkehr oder Stadtarchitektur, die Ökonomie, Geschichte, Identität von Stadt oder die städtische Umwelt mit ihren Nachhaltigkeitsfragen: Alles führte zu grundlegenden Diskussionen.

Für den ehemaligen Berliner Bausenator Hans Stimmann zeigt sich in der Bodenfrage das Kernproblem. Er beklagte, dass private wie öffentliche Immobilienentwickler stets nur an Vermögensaktivierung interessiert seien, nicht an einer städtebaulichen Qualität. Er plädierte daher für die Parzellierung mit möglichst vielen privaten Bauherren und Architekten. Heftige Kritik auch zum Verkehr. Hermann Knoflacher, Verkehrsexperte aus Wien, schlug zur Belebung von Innenstädten vor, Stadtgrundrisse wieder engmaschiger zu planen, mit öffentlichen Plätzen im Abstand von 220 Metern, einem von ihm anhand historischer Karten ermittelten Durchschnittswert.

 

Es fehlen die Plätze

Auch sei es dringend, die Stellplatzverordnung, die noch aus dem ehemaligen Reichsgaragengesetz von 1939 resultiert, sowie Bau- und Finanzordnungen im Sinne neuer Mobiliätskonzepte ohne Auto zu reformieren. In den Fragen zur Stadtarchitektur forderte Fritz Neumeyer mehr „städtebauliches Benehmen und architektonischen Anstand“, viele Neubauten würden sich autistisch verhalten, wo doch „dialogfähige“ Gebäude notwendig seien. Die „Stadt der kurzen Wege“ wurde gleich mehrfach gefordert, gerade auch hinsichtlich kluger Einzelhandelskonzepte. Nobler drückte es der Städtebauhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani aus, der den überlieferten Stadtkörper als „Raum für zufällige Begebenheiten“ darstellte.

Die Denkmalpfleger verlangten erinnerungsfähige Stadtbilder, beklagten aber, dass ihre Profession immer mehr von der Politik abgewertet werde. Für Verunsicherung sorgte der Schriftsteller Burkhard Spinnen, in dem er eine dreifache Säkularisierung konstatierte: Wenn Kirchen sich leeren, Rathäuser dank virtueller Verwaltung online gehen und auch der Individualverkehr zentrale Bahnhöfe in Frage stelle, entfielen der europäischen Stadt schlichtweg die prägenden Leitbauten. Und er erschrak selbst dabei, als er weiter ausführte, dass nur noch die ökonomischen Orte für die heutige Gesellschaft übrig blieben.

 

Langlebigkeit versus Klimahetik

Den Höhepunkt aber stellte die Nachhaltigkeitsdebatte dar. Geradezu hitzig reagierte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer auf die Ausführungen des Berliner Architekten Hans Kollhoff, der vor zuviel Klimahektik warnte und für Permanenz und Langlebigkeit plädierte. Er warf den Architekten vor, ästhetische Fragen wichtiger zu nehmen als ökologische, und sah es eher als Skandal an, dass das Verpacken der bestehenden Häuser so lange dauere. Geschult an den großen Fragen der Vorrunden, war es sodann den Architekten Klaus-Theo Brenner und Arno Lederer überlassen, anhand einer energetischen Gesamtbilanz aufzuzeigen, dass durch den derzeitigen Styroporwahn viele Stadtbilder nachhaltig zerstört werden. Vielmehr ließe sich durch die Kernfrage des Städtebaus, der Dichte, wieder Vernunft in die Debatte bringen. Ein gemeinsames Pamphlet soll folgen.

 

Stefan Rethfeld

Zum Artikel: www.sueddeutsche.de