Urbane Ankerpunkte: Rathäuser von Harald Deilmann
Ausgabe 10/2012
Deutsches Architektenblatt (2012)
Harald Deilmann: Rathaus Nordwalde, 1957 - Abb.: Baukunstarchiv NRW / Nachlass Harald Deilmann, Foto: Friedhelm Thomas

Harald Deilmann: Rathaus Nordwalde, 1957 - Abb.: Baukunstarchiv NRW / Nachlass Harald Deilmann, Foto: Friedhelm Thomas

Die kommunale Gebietsreform im Jahr 1975 löste ein gewaltiges Bauprogramm aus. Für die jüngere Architektengeneration bot sie die Chance, öffentliche Bauten in großer Anzahl in den Städten und Gemeinden zu schaffen. Auch die Rathausbauten von Harald Deilmann künden von dieser Aufbruchsstimmung. Er verstand sie als urbane Ankerpunkte für den Bürger. Ein Blick zurück – und nach vorn: Was bedeuten sie uns heute?

 

Architekten als Geburtshelfer

Die Stadtstaaten blieben verschont. Doch alle anderen Bundesländer der Republik erfuhren mit der Gebietsreform 1975 eine umfassende kommunale Neuordnung. Auch in Nordrhein-Westfalen galt es größere, sinnvollere Einheiten zu schaffen, um den bevorstehenden Wachstum zu lenken. Nicht ohne Geburtswehen wurden Stadtteile und Gebiete neu zugeteilt. Architekten verstanden sich häufig als Geburtshelfer für die neu bestimmten Stadtmitten. Rat- und Kreishäuser entstanden so in dichtem Takt, eines der größten Konjunkturprogramme bis heute nahm seinen Lauf.

Bereits 1957 reüssierte hierbei Harald Deilmann mit seinem ersten öffentlichen Verwaltungsbau: dem Rathaus Nordwalde, das auch heute noch souverän die Ortsmitte markiert. Ein erstes großes Kreishaus (1960-64, heute: Stadthaus II am Ludgeriplatz) konnte er sodann in Münster errichten. Mit Studien für ein Rathaus in Leverkusen (1964, im Verfahren unterlag er dem Büro HPP nach mehreren Stufen) leitete er über in ein neues Verständnis kommunaler (Verwaltungs-)Zentren.

 

Wider geistlosem Schematismus

Denn allgemein waren die reinen Verwaltungsburgen mit ihren übergroßen, nüchternen Bauvolumen in die Kritik geraten. International als Architekt und Hochschullehrer vernetzt, verstand sich Deilmann als Neuerer und warb für die Erweiterung der Bauaufgabe „Rathaus“ hin zum „Haus der Bürger“, vom reinen Verwaltungs- zum flexiblen Begegnungsort.

Ein Buch seiner Forschungstätigkeit zur Zukunft von Gebäuden der öffentlichen Verwaltung erschien 1979 und konnte sich als frühes Nachschlagewerk etablieren. Mit Beispielen zeigte er auf, dass „Behördenbau“ nicht mit „geistlosem Schematismus“ gleichgesetzt werden muss, und forderte seine Zunft auf, „die demokratische Idee stärker gestalterisch zu interpretieren“.

 

Vorbilder in den USA und Europa

Programmatisch berief Harald Deilmann sich auf Vorläufer in den USA sowie in Europa, die er vornehmlich in den Niederlanden (z.B. van den Broek en Bakema) und Skandinavien studiert hatte. Gerade auch der Schwede Peter Celsing (1920-74, u.a. Stockholmer Kulturhaus) oder der Niederländer Frank von Klingeren (1919-99) weckten mit ihren Experimenten sein Interesse. Letzterer schuf ab 1965 mit Projekten in Dronten und Eindhoven „Begegnungspunkte ohne Festlegung“: „Wir suchten ein Instrument und eine Situation, in der alles geschehen kann, und zwar mit 60 Prozent Perfektion, 20 Prozent Ungemach und 20 Prozent Begegnung.“

 

Aktivitäten aufnehmen, auslösen und verknüpfen

Deilmann faszinierte der Gedanke, Großgebilde zu entwerfen, die Aktivitäten aufnehmen, auslösen und miteinander verknüpfen können. Über Büro- und Sitzungsstrukturen hinaus, warb er für Verpflechtungen unterschiedlicher Einzelnutzungen in einem baulichen Komplex: Bibliothek, Kunsthalle, Volkshochschule, Läden, Cafés, Hotel bis hin zum Theater, verbunden mit Innen- und Außenplätzen auf verschiedenen Ebenen. Wer seine über 50 Wettbewerbsentwürfe und Gutachten allein zum Rathausbau dieser Sturm- und Drangzeit (bis 1980) studiert, kann deutlich dieses Plädoyer herauslesen. Allein – gebaut wurden nur wenige. Nach Nordwalde und Münster gelang die Ausführung in acht weiteren Städten: Bork (1964), Rheda-Wiedenbrück (1967-74), Gronau (1969-76), Köln-Porz (1969/1972-83), Coesfeld (1971-76), Minden (1974-78), Horstmar (1977) und Montabaur (1975-80).

 

Neue Rathäuser für Rheda-Wiedenbrück und Gronau

Die bemerkenswertesten sind in den Mittelstädten Rheda-Wiedenbrück und Gronau entstanden. Vergleichbar sind sie in vielen Punkten. Ab 1969 parallel entworfen, setzten sich die jeweiligen Entwürfe gegen renommierte Konkurrenz (Gottfried Böhm, Dieter Oesterlen, Walter Henn, Hanns Dustmann, u.a.) in Wettbewerben durch und wurden von der Jury (Vorsitz: Heinrich Bartmann, Fritz Eller) für ihre starke Gliederung des Baukörpers sowie ein erlebnisreiches Innenleben gelobt. Auch wurden beide in Sichtbeton errichtet, große Foyers und verschiedene Eingänge stimmten neugierig. In ihren Standorten unterscheiden sie sich so dann: Während das Rathaus Rheda-Wiedenbrück innerstädtisch liegt, zeigt sich das Gronauer Pendant als Betongebirge vor der Altstadt. Auch die Bürostruktur zeigt Alternatives, in Rheda-Wiedenbrück die Einzelbüros, in Gronau eine ambitionierte Großraum-Lösung, seinerzeit ein Novum im öffentlichen Verwaltungsbau. Beide Gebäude fordern heute ihre Stadtpolitiker heraus, denn die Bauten sind in die Jahre gekommen und erfüllen nur schwer heutige Anforderungen. Während in Rheda-Wiedenbrück der Bau bereits saniert wurde, erwägen die Gronauer den Abriss. Naheliegend wäre jedoch, auf Grundlage des multiflexiblen Gebäude- und Raumkonzeptes alternative Weiter- und Umbaulösungen zu erarbeiten. Norman Foster hat es bei der Rostlaube der FU Berlin jüngst exemplarisch gezeigt. Heute dient dieser Umbauort mehr denn je der Identifikation. Zu wünschen ist daher auch in Gronau: Mut, wie vor 40 Jahren.

 

Stefan Rethfeld

www.stiftung-deutscher-architekten.de