Lust auf Land
so gesehen
Ausgabe 04.2010
architektur stadt ms (2010)
Inbegriff des Stadt-Land-Austausches: der Wochenmarkt auf dem Domplatz. Foto: Stefan Rethfeld

Inbegriff des Stadt-Land-Austausches: der Wochenmarkt auf dem Domplatz. Foto: Stefan Rethfeld

Der Winter ist geschafft. Und mit den ersten warmen Sonnenstrahlen lockt das Freie. Hinein in die Städte mit ihren Straßencafés, hinein in die grüner werdende Natur. Und kein Ort könnte uns diesen Stimmungswandel besser vermitteln als ein Wochenmarkt, ein – nebenbei bemerkt – in der Stadtforschung bisweilen unterschätztes Objekt.

So auch der zentrale Markt auf dem Domplatz in Münster mit seinen 150 Ständen. Er verkörpert geradezu den Gedanken der griechischen Polis, und damit das Zusammenleben auf engem Raum, um Informationen und Waren auszutauschen. Gleich Häusern und Straßen erzeugen Wagen und Gassen eine städtische Ordnung mit Stromanschluss. Alle Autos kommen hier zum Stehen, jeder wird zum Flaneur, und erfährt eine neue Ge-schwindigkeit, die noch langsamer ist als die der Fußgängerzone. Ein Raum der Begegnung auf dem ältesten Platz einer geschichtlichen Stadt. Regelmäßig tritt hier das Marktgeschehen an die Stelle eines ansonsten leeren und stillen Domplatzes.

Besonders gesteigert wird das Schauspiel durch seinen Hintergrund, den Dom. Für alle spür-bar bilden die Buden einen vielfachen Kontrast: das Temporäre tritt neben das Dauerhafte, das Textile neben das Steinerne, das Laute neben das Leise, das Bunte neben das Monochrome und das Kleinteilige neben das Große. Noch weitergehen könnte man im Kontrast der Angebote: hier am Stand das Mindesthaltbare, dort im Dom das Ewigliche.

Und sinnenfroh sind hingegen beide Welten: Licht und Klänge, Weihrauch und Kerzenduft in der Kathedrale und Reibekuchen, Nüsse, Gespräch wie Geschrei an den Ständen. Der Wochenmarkt also als regelmäßiger Gabentisch vor dem Dom? Ja, ein hehrer Ort, ein freudiger und lebendiger Ort, der Alltag und Fest zugleich ist. Und auch ein Ort, der zwischen Generationen, sozialen Schichten und Kulturen vermittelt.

Das wichtigste jedoch: auf dem Markt finden Stadt und Land zusammen, beide treffen sich als Extrakt. Für jeden wird erlebbar, wie sehr die Stadt das Land braucht und umgekehrt. Ebenso wie Wissen anschaulich vermittelt wird, Stand für Stand. Eine nicht zu unterschätzende Leistung in unserer Zeit des Virtuellen und der Simulation, der Hochgeschwindigkeit und des Perfektionswahns.

Besonders rühmlich, dass dies bis heute ohne Eventisierung auskommt, und man Blumen, Obst, Gemüse & Co die Hauptrollen überlässt – zur Selbstvergewisserung selbst im Jahr 2010. Dass die neue bundesweite »Landlust« auf dem Medienmarkt gerade von einem hiesigen Verlag ausgerufen wurde, ist daher kein Zufall. Mit ständig wachsender Leserschaft hat diese neue Zeitschrift so manchen Medienkonzern überrumpelt, die nun allesamt nachlegen, ob »Bild der Frau Land-partie« (Springer) oder »Mein schönes Land« (Burda). Und vielleicht führt das neue Bewusstsein und Bekenntnis zum ländlichen Leben auch zu einem neuen Begriff von Landschaft.

 

Stefan Rethfeld